Im Staatsschauspiel Dresden Kleines Haus war heute, 30.1. (ein für die deutsche Geschichte verhängnisvolles Datum), der Auftakt für eine lose Gesprächsreihe zu Vertriebene(n) Erinnerung. Durch die Referenten erfuhr das Thema anregende Zugänge durch Kunst, Wissenschaft und Zeitzeugen. Mich freute das breite öffentliche Interesse. In meinen Gedanken verwies ich zum einen auf den hohen Anteil von Vertriebenen, Spätaussiedlern und Flüchtlingen in Sachsen seit 1945, die ja unser Land ganz wesentlich mit gestaltet haben und mit gestalten. Zum anderen kennzeichnete ich Vertreibung als einen aktiven Akt eines anderen, der damit verletzt. Zur Einordnung in den historischen Kontext hatte ich eine kleine Bildauswahl, beginnend bei der Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, Vertreibung und Vernichtung Deutscher durch Deutsche, dann der Gedenktafel an die verstorbenen Kleinstkinder im Vertriebenenlager Elsterhorst, der Verteilung der Wolfskinder in Heime und Familien bis hin zu heutigen flüchtenden Frauen und Kindern aus der Ukraine ausgewählt. Im Fundus unseres Transferraums Heimat in Knappenrode gibt es einen Flüchtlingsmantel, den Horst Braczko bei seiner Flucht aus Masuren bis nach Sachsen 1945 trug; in diesen Mantel gekleidet, lies sich Geschehen auch anschaulich machen. Es ist wichtig aber ohne Aussicht auf einen gemeinsamen Nenner, Heimat zu definieren, dies zeigte sich auch an diesem Abend. Doch egal wie: wer Heimat hat/findet/annimmt (die Chance zum Annehmen erhält, dies setzt Aufnahme voraus)/erinnert, nur der wird für eine Region gesellschaftlich aktiv; und auf das Engagement baut unser Staat! Insofern ist „Heimat haben“ gesellschaftlich wichtig und ebenso für den Einzelnen, denn es gilt sicherlich Dostojewski: „Ohne Heimat sein heißt leiden.“ Wichtig bei Diskussionen ist wohl stets, die Begriffe sauber zu klären (Flüchtling, Vertriebener) wie auch die Rahmenbedingungen (wer wann warum wie); Schopenhauer hat darüber mal seine Gedanken als „Die Kunst, Recht zu behalten“ niedergeschrieben; wir erleben die von ihm genannten „Kunstgriffe“ (wie Verengung, Erweiterung usw) ja fast in jeder Talkshow. Doch noch wichtiger ist es, sich überhaupt auszutauschen, denn miteinander reden bringt neue Gedanken und Sichten, auch wenn es schwer ist, nicht umsonst meinte Oscar Wilde: „Ich bin gerne der einzige der redet – das erspart Zeit und verhindert Streitereien.“ Danke an die Referenten, den Historiker Justus Ulbricht und das Kleine Haus – und vor allem das interessierte Publikum; ich bin gespannt auf die weiteren Veranstaltungen!
Jens Baumann